Minimalistisches Webdesign beschreibt nicht nur eine spezifische Ästhetik. Es ist viel mehr ein Zusammenwirken verschiedener Prinzipien bzw. Richtlinien im Design. In der Praxis führen diese Grundsätze zu einem sehr simplen Design, wobei ausschließlich die wichtigsten Elemente verwendet werden, um das gewünschte Benutzererlebnis zu gewährleisten.
Kurz gefasst lautet dieser Grundsatz: So informativ wie nötig und so schlank wie möglich.
Neben dem allgegenwärtigen Konzept „weniger ist mehr“ umfassen diese Grundsätze auch Techniken wie eine begrenzte Farbpalette und negativen Raum, oder im Englischen „negative space“.
Weniger ist mehr in minimalistischem Webdesign
„Weniger ist mehr“ ist wahrscheinlich eines der am häufigsten gehörten Mottos der Minimalisten, egal ob es sich um Webdesign oder eine andere Form des Minimalismus handelt. Aber was bedeutet es wirklich im Zusammenhang mit minimalistischem Webdesign?
Manchmal ist es einfacher herauszufinden was minimalistisches Design ist, wenn man sich zunächst das Gegenteil ansieht. Hier ein Extrembeispiel:
Die Website von Ling’s Cars ist anscheinend überaus erfolgreich, landet jedoch regelmäßig auf der Liste der am schlechtesten gestalteten Websites überhaupt. Es gibt so viel was bereits auf den ersten Blick passiert und klare Linien scheinen gar nicht zu existieren. Jeder, der diese Website sieht stellt fest – sie ist nicht minimalistisch.
Dennoch gibt es auch viele gut gestaltete Websites, mit großartiger Struktur, die nicht minimalistisch sind. Hier ein Beispiel:
Diese Website ist ansprechend gestaltet, besitzt eine feste Farbpalette und erzählt die Geschichte auf eine faszinierende, interaktive Art und Weise. In Punkto Storytelling eine sichere 10/10. Doch die vielen Animationen, der texturierte Hintergrund, die Collage-Elemente und Typografie ergeben für viele Betrachter kein minimalistisches Deisgn. Es liegt nicht unbedingt daran, dass ein bestimmtes Element allein nicht der Definition von minimalistischem Webdesign entspricht – es ist eher die Kombination all dieser Elemente.
Minimalistisches Webdesign konzentriert sich auf die Erstellung überzeugender Designs mit so wenigen Elementen wie möglich. Ein Schlüssel zum Erfolg ist das Entfernen von Elementen, bis das Design bricht. Ein „Bruch“ bedeutet in diesem Fall, dass die Bedürfnisse und Wünsche des Nutzers nicht mehr erfüllt werden.
Minimalistisches Webdesign lässt den Inhalt hervorstechen
Eines der überzeugendsten Argumente für minimalistisches Webdeisgn ist, dass es den Inhalt wirklich hervorstechen und glänzen lässt. Aus diesem Grund ist ein einfaches Webdesign die erste Wahl vieler Künstler, Fotografen und sogar einiger Schriftsteller. Sie möchten, dass ihre kreativen Inhalte im Mittelpunkt stehen und nicht die von anderen erstellten Designelemente. Aber auch moderne Onlineshops setzen immer häufiger auf den simplen Designstil.
Nehmen wir als Beispiel die aktuelle Website von Tinker. Tinker Watches verkauft Armbanduhren in – man kann es ahnen – minimalistischem Look. Doch nicht nur die Uhren, sondern auch die Website überzeugt im Design. Ein schlichter Header mit Pop-Up Menü, zwei Schriftarten, drei genutzte Farben und ein Call To Action im Mittelpunkt. Das Endergebnis ist ein minimalistisches UI-Design, das Kunden mit Ruhe und Eleganz begrüßt.
UI – & UX – Entscheidungen müssen bewusst getroffen werden.
Minimalistisches Design sieht auf den ersten Blick so aus, als wäre es einfacher zu gestalten als komplexere Designstile. Doch in der Realität ist genau das Gegenteil der Fall.
Minimalistisches Webdesign stellt jedes einzelne Designelement in den Vordergrund. Jede Entscheidung, die der Webdesigner trifft, ist für jeden Besucher sichtbar. Während visuell komplizierte Designs kleine Fehler oder Fehltritte praktisch unsichtbar machen können, bieten einfache Website-Designs nicht den selben Schutz.
Aus diesem Grund ist eine gründliche Planung essentiell. Welche Botschaft soll vermittelt werden? Was ist das Ziel des Designs? Welcher Charakter soll ausgestrahlt werden? All dies sind Fragen, die noch vor den ersten Entwürfen beantwortet werden sollten. Im nächsten Schritt, dem Design des User Interfaces, gilt es dann ausschließlich die wirklich notwendigen Elemente darzustellen. Um dabei eine klare Linie zu verfolgen und damit die Navigation weiterhin zu erleichtern, gleichzeitig aber auch vorzugeben, setzt man auf negativen Raum (engl.: „Negative Space“).
Nutzung von „Negative Space“
Eines der vielleicht wichtigsten Elemente eines guten Webdesigns ist die Verwendung von Negativräumen, oder engl.: „Negative Space“. Bei minimalistischem Design spielt das, was sichtbar ist, eine ebenso wichtige Rolle wie das, was nicht vorhanden ist – leerer Raum.
Der Negative Space, auch „White Space“ genannt, ist der leere oder offene Raum, der Design- und/oder Inhaltselemente umgibt und diesen somit Definition verleiht. Abzuwägen wie viel leerer Raum benutzt wird ist eine der schwersten Aufgaben eines Designers. Nutzt man zu wenig wirken Elemente zu groß und übersichtlich. Nutzt man zu viel lädt das Design nur noch zum Gähnen ein. Es ist also das Verhältnis beider Elemente, unter begutachtung der Intentionen und der User Experience, das negativen Raum perfektioniert.
Unonim ist ein Paradebeispiel für die Darstellung von Negative Space. Das Studio nutzt viel negativen Raum um die Beschreibung, sowie den About Button, direkt in den Vordergrund zu schieben.
Dramatik durch Fotografie, Typografie & Kontraste
Minimalistisches Webdesign muss nicht nur schwarz-weiß sein. Im Gegenteil – man kann einem Design auch Dramatik verleihen, ohne dabei die klaren Linien oder den negativen Raum zu beeinflussen. Der wahrscheinlich am häufigsten gewählte Weg ist durch die Verwendung von Fotos, Typografie und Kontrasten (sowohl in Bezug auf Farben als auch zwischen Designelementen).
Große Fotos, einschließlich Fotohintergründe, sind eine großartige Möglichkeit, einem Design viel visuelles Interesse zu verleiehen und können, wenn sie richtig eingesetzt werden, durchaus in eine minimalistische Designästhetik passen. Um die größtmögliche Wirkung zu erzielen, ist es am besten, Fotos zu vermeiden, die sehr unruhig sind. Fotos in minimalistischem Design sollten selbst zumindest etwas minimalistisch sein (einschließlich einer einfachen Farbpalette und der Verwendung von negativem Raum).
Die Website von Formani verwendet ein großes Foto auf dem Startbildschirm, das klare Linien trifft, ein Produktbeispiel aufführt und auf perfekter Höhe eine Überschrift und Kurzbeschreibung integriert. Die Trennung beider Bildschirmhälften durch einen schwarzen Hintergrund und eine graue Tür ist fast schon ein Meisterwerk.
Benötigen Sie noch Bilder und Grafiken für ein neues Projekt? Lesen Sie hier gerne mehr.
Typografie ist ein weiterer Bereich, in dem minimalistische Designer einige wirklich coole Ideen verwirklichen.
Der Hero von KANEKO, einer gemeinnützigen Kunst- und Kulturorganisation, enthält deren Slogan. Dieser ist jedoch nicht bloß Text, er wird überlagert von Mustern und Farben und wirkt dadurch genauso visuell anregend wie Fotos oder Illustrationen, aber auf eine ganz andere Weise.
Typografische Hierarchie
Da bei einem minimalistischen Webdesign jede Entscheidung wohlüberlegt sein muss, ist es wichtig, sich Zeit zu nehmen um ein klares Gefühl für die typografische Hierarchie zu entwickeln. Typografische Hierarchie ist besonders wichtig, wenn die Schrift verschiedene Arten von Inhalten, ohne große Hilfe anderer Designelemente, unterscheiden muss.
Wenn eine Person beispielsweise eine minimalistische Website besucht, sollte sie in der Lage sein, den Titel, die Überschriften, den Hauptteil und die Navigation sofort auf einen Blick zu erkennen, ohne unbedingt den Inhalt lesen zu müssen. Dies lässt sich am besten durch einen klaren Kontrast zwischen diesen Elementen. Ein Kontrast – zwar auch in Farbe, besonders aber in der Art der Typografie.
Das WordPress Theme „Stills“ verwendet eine klare typografische Hierarche, um zwischen Überschriften und Text zu unterscheiden.
Selbst minimalistisches Webdesign sollte im Allgemeinen drei Ebenen der typografischen Hierarchie enthalten: Überschriften (die auch für den Titel verwendet werden können), Zwischenüberschriften und Textkörper bzw. Text.
Oftmals gibt es mehrere Ebenen für die Zwischenüberschriften, aber das ist keineswegs erforderlich. Einige Websites kommen mit zwei Ebenen aus, manche entscheiden sich sogar nur für eine, obwohl dies in den meisten Fällen nicht empfohlen wird.
Navigation einfach halten
Ein Bereich, in dem viele minimalistische Websites scheitern, ist die benutzerfreundliche Navigation. Dies ist besonders bei komplexeren Websites mit vielen Seiten der Fall.
Top-Navigationsleisten sind immer noch ein Hauptbestandteil des minimalistischen Designs. Einfache Textlinks, manchmal mit Untermenüs, sind am häufigsten zu finden. Typografie, Farben, Formen und andere Designelemente können an das Gesamtbild der Website angepasst werden. Es gibt jedoch auch andere Möglichkeiten.
Zwei sehr häufige Navigationsmuster, die in minimalistischen Webdesigns zu finden sind, sind die Hamburger- und Kebab-Menüs. Hamburger-Menüs bestehen aus drei oder vier horizontalen Linien, während Kebab-Menüs aus drei Punkten bestehen.
Obwohl das berüchtigte Hamburger-Menü mit Problemen der Benutzerfreundlichkeit behaftet ist, hat es sich als universelle Ablürzung zum Ausblenden der Navigation durchgesetzt, weil es die visuelle Unübersichtlichkeit reduziert.
Auf der Website von RFTB ist das Hamburger-Menü an der gewohnten Stelle positioniert und sogar durch einen farbigen Hintergrund hervorgehoben.
In der Regel werden Hamburger-Menüs für die Haputnavigation verwendet, während Kebab-Menüs z.B. für Einstellungsmenüs oder andere Untermenüs verwendet werden. Obwohl beide immer häufiger als Navigationselemente verwendet werden, fügen einige Designer immer noch Text hinzu, um darauf hinzuweisen, dass der Hamburger ein Menü ist. Dies ist besonders nützlich, wenn sich eine Website nicht an technisch versierte Benutzer richtet.
Minimalistische Farbpaletten
Es gibt eine Reihe von Ansichten darüber, was eine minimalistische Farbpalette ausmacht. Viele minimalistische Websites verwenden nur zwei Farben. Andere verwenden drei, vier oder mehr. Eine Farbpalette allein macht ein minimalistisches Webdesign jedoch noch nicht aus. Bei der Wahl der Farben kann man grundsätzlich aber einen Leitfaden erstellen: Zwei kontrastreiche Grundfarben (bspw. Schwarz und Weiß) + Farbe des Unternehmens + komplementäre oder kontrastreiche Farben dazu. Letztendlich bleibt es aber eine sehr individuelle und vor allem subjektive Entscheidung, welche Farben die richtigen sind.
Als ein sehr nahmhaftes Beispiel sehen wir uns die Seite von mailchimp an. Die Farbpalette ist relativ weit gestreut, abgesehen vom Grün der Buttons besteht sie jedoch aus einer Reihe komplementärer Pastellfarben. Ein Beispiel für minimalistisches Webdesign, das nicht nur Schwarz und Weiß nutzt.
Fazit
Die größte Herausforderung bei minimalistischem Design besteht darin, dass es für die Designer nichts gibt, hinter dem sie sich verstecken können. Jedes Element des Designs muss seinen Wert beweisen. Jedes Element muss mit Bedacht gewählt und perfekt umgesetzt werden, damit das Design selbst überzeugen kann.
Mich als Designer, der Überzeugt ist von den Vorteilen, die minimalistisches Webdesign mit sich bringt, begeistert es bei jedem Projekt aufs neue, wie viele Möglichkeiten man trotz allem hat um ein Produkt zu schaffen, das seine Ziele in Bezug auf Benutzerverhalten und -erfahrung erreicht und gleichzeitig eine wirklich minimalistische Ästhetik beibehält.
Sollten auch Sie nun begeistert sein von minimalistischem Webdesign können Sie hier noch mehr darüber erfahren.